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Ekstatische
Chormusik
Werk von Händel, Monteverdi, Scarlatti, Tormis
Ek|sta|se,
die; -, -n, [kirchenlat. ecstasis] < griech. ékstasis,
eigtl. = das Aussichheraustreten: [religiöse] Verzückung,
Entrückung; rauschartiger, tranceartiger Zustand, in
dem der Mensch der Kontrolle seines normalen Bewusstseins
entzogen ist.
Duden, Deutsches Universalwörterbuch |
Kann Musik vernünftig sein? Kontrolliert? Bewusst? Vermutlich
entrückt jede Musik den Menschen ein Stück weit in Richtung
der Ekstase. Dennoch gibt es Werke, bei denen Verzückung,
Rausch und Trance besonders spürbar werden:
Georg Friedrich Händel (1685-1759) führt im Dixit
Dominus den Hörer durch alle Gefühlswelten inniger
Religiosität. Festliche Verehrung wird ebenso spürbar
wie bedrohliche göttliche Allmacht, bevor die Musik im Schlusschor
endgültig in grenzenlosem Jubel und Entzücken am paradiesischen
Jenseits aufgeht.
Francesco Petrarca (1304-1374) war schon im Diesseits verzückt:
Hilflos taumelnd zwischen Leben und Tod, Krieg und Frieden hing
seine Seele an der Zuneigung einer Frau. Claudio Monteverdi (1567-
1643) hat Petrarcas Sonetto 164 zweihundert Jahre später
mit ungebrochener Leidenschaft vertont, deren Brennen bis heute
zu spüren ist.
Das Problem aller Stabat-mater-Kompositionen besteht in der Frage,
wie sich trotz der Kleingliedrigkeit der Textvorlage eine musikalische
Einheit herstellen lässt. Domenico Scarlatti hat dieses Problem
durch eine eigenwillige Variationstechnik zu lösen versucht.
Dass er sich dabei der bis ins 15. Jahrhundert zurückzuverfolgenden
Technik bedient, Zeilen- und Strophenanfänge mit einem neuen
Motiv zu markieren, ist nicht als Konservativismus misszuverstehen,
sondern gibt ihm die Möglichkeit, eine gewisse Zahl dieser
Kopfmotive durch Variation aufeinander zu beziehen. Nicht, dass
eines dieser Motive als "Hauptthema" oder Modell aufgefasst
würde, sondern alle Motive werden kraft ihrer Intervallik
einander angenähert.
Mit der Terminologie Anton Weberns ließe sich sagen, dass
allen Motiven der gleiche musikalische Gedanke eigen ist: eine
Quart-Quint-(Sext-) Kombination mit diatonischer Fortschreitung:
Dasselbe immer anders.
Ein Schamanenritus schließlich kann als das Beispiele schlechthin
für einen Trancezustand gelten. In der Form eines solchen
Ritus hat der Este Veljo Tormis (*1930) den Fluch auf das Eisen
(Raua needmine) komponiert, dessen Text auf den Kalevala,
einen alten finnischen Heldenepos zurückgeht. Vorsänger
und Chor wechseln sich mit Gesang, rhythmischem Text und Geräuschen
ab und werden dabei von einer Felltrommel angetrieben. Der Fluch
auf das Eisen wurde bei der Übersetzung ins Estnische
nicht nur in eine neue Sprache, sonder auch in die Neuzeit übertragen:
Aus den Schwertern und Speeren, denen der finnische Text galt,
werden Kampfmaschinen und Marschflugkörper.
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